Warum mir ästhetischer Minimalismus auf die Nerven geht

Warum mir ästhetischer Minimalismus auf die Nerven geht

Minimalismus ist…

Der Satz ist über Subjekt und Verb noch nicht hinaus, schon kommt der ästhetische Minimalismus um die Ecke. „Gar nicht wahr“, ruft er. „Bei mir ist alles ganz anders!“

Was ästhetischer Minimalismus ist und warum er mir auf die Nerven geht, erfährst du in diesem Beitrag.

1. Was ist ästhetischer Minimalismus?

Ästhetischer Minimalismus folgt drei Prinzipien:

  1. Dinge besitzen, die man liebt.
  2. Qualität vor Quantität.
  3. Reduziertes, schlichtes und zeitloses Design.

Prinzip 1 und 2 kommen mir bekannt vor. Hier unterscheidet sich der ästhetische Minimalismus nicht vom gewöhnlichen Minimalismus.

Rezipiert wird ästhetischer Minimalismus allerdings vor allem als Prinzip 3.

Was steht dahinter? Was begründet das Prinzip?
Die Antwort ist einfach: Es ist die Optik.

Schön ist, was reduziert ist. Oder schlicht. Und hochwertig.

Das führt dazu, dass die Wohnzimmer der größten Nicht-Minimalist:innen mittlerweile minimalistisch aussehen.

Aber Moment mal, das sind ja auch Minimalist:innen – ästhetische Minimalist:innen eben.

2. Kritik des ästhetischen Minimalismus

Was kann an einer einfachen ästhetischen Vorliebe verwerflich sein?

Ästhetischer Minimalismus wird als Ausrede für besseren Konsum verwendet. Vertreter:innen beanspruchen für sich das Etikett Minimalismus, ohne die Mühe in Kauf zu nehmen, die Minimalismus mit sich bringt.

Meiner Definition von Minimalismus zufolge ist Minimalismus vor allem eine innere Arbeit, ein Prozess des Loslassens und Auf-sich-selbst-Zurückgeworfenseins.

Leben ohne sich an Dinge zu klammern.

So kahl könnte ich ja nicht leben!

Da müssen Bilder an die Wände!

Ich kaufe wenig, aber hochwertig!

Ästhetischer Minimalismus ist prima geeignet, um alles Alte wegzuwerfen und stattdessen Neues, Hochwertiges im minimalistischen Design zu kaufen.

Und da sind wir schon wieder beim Mithalten mit den anderen, beim Wettrüsten um das edelste Sofa und die echteste Backsteinwand hinter dem geschmackvoll geformten Pelletofen.

Warum mir ästhetischer Minimalismus auf die Nerven geht - Ofen vor Backsteinwand

Es geht beim Minimalismus nicht um äußere Schönheit.

Es geht um Wertschätzung, Dankbarkeit, innere Schönheit.
Um Rücksicht auf Ressourcen. Um Genügsamkeit. Um Sein statt Haben.
Um die Ent-Kapitalisierung des Ichs.

3. Definition des Minimalismus: Ich mach mir die Welt…

Wie sie mir gefällt? Nur fast.

Jeder hat seine eigene Definition?
Völlig subjektiv und willkürlich?

Was mir bezüglich des Veganismus vorgeworfen wurde, kann ich für den Minimalismus (und auch sonst) nicht akzeptieren.

Unter Minimalismus kann jeder etwas anderes verstehen.
Das setzt aber voraus, dass es eine allgemeine Definition von Minimalismus gibt.
Diese ist die Basis dafür, dass überhaupt über Minimalismus (oder ein beliebiges anderes Konzept) gesprochen werden kann.

Gäbe es kein allgemeines Verständnis von Minimalismus, wüsste niemand, wovon überhaupt gesprochen wird, wenn es um Minimalismus geht.

Hierbei handelt es sich um einen philosophischen Sachverhalt, der mit der Logik von Sprache (und der Logik des Seins, mögen Aristoteliker hinzufügen) zusammenhängt.

4. Was ist Minimalismus?

Gutes Aussehen ist netter Nebeneffekt von Minimalismus, aber nicht seine Grundlage.

Grundlage des Minimalismus ist die Befreiung von (materiellem und immateriellem) Ballast mit dem Ziel, ein besseres Leben zu führen.

Was unter einem besseren Leben verstanden werden kann, ist eine weitere, andere Frage, der ich hier nicht weiter nachgehen werde. (In Kürze veröffentliche ich ein Buch zu dem Thema – trag dich für den Frugales-Glück-Newsletter ein, wenn du nichts verpassen möchtest.)

Aus der genannten Definition von Minimalismus ergeben sich folgende Arbeitsfelder:

  • Was ist Ballast, in meinem Leben und generell?
  • Wie kann ich Überflüssiges (materiell als auch immateriell) von Notwendigem unterscheiden? Diese Frage ist identisch mit: Was ist ein gutes Leben? Was brauche ich für ein gutes Leben und was nicht?
  • Wie schaffe ich es, Ballast loszuwerden, auch dauerhaft? In diesen Bereich gehören die Themen Ausmisten, Gewohnheiten sowie Einstellungen und Werte (Bewusstheit, Wertschätzung, Genügsamkeit, Dankbarkeit).

Diese Fragen machen deutlich, dass Minimalismus unauflöslich mit der Frage nach dem guten Leben verbunden ist.

Minimalismus ist keine ästhetische, sondern eine ethische Theorie.

Minimalismus trifft Aussagen über ein gutes Leben.
Nicht nur über mein, dein und Tante Olgas gutes Leben, sondern über das gute Leben schlechthin.

Das hat wiederum mit der Logik des Wortes gut zu tun: Wer gut sagt, beansprucht ein allgemeines Gutsein.

„Nur für mich gut“ existiert im ethischen Sinne nicht.

Ein Auto kann für Hartmut gut sein und für Robert weniger gut.
Ein gutes Leben ist für alle ein gutes Leben – oder es ist kein gutes Leben.

Bist du ästhetische:r Minimalist:in? Konnten meine Argumente dich überzeugen? Ich bin gespannt auf deinen Kommentar!

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Marion

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2 thoughts on “Warum mir ästhetischer Minimalismus auf die Nerven geht

  1. Sandra says:

    Hallo Marion,
    ich habe mit großem Interesse einige deiner Berichte gelesen,eben auch diesen.
    Kurz zu mir :
    Ich lebe zusammen mit meinem Mann und unseren 5 Kindern auf dem Land.
    Wir sind keine Minimalisten und keine Vegetarier. Trotzdem leben wir mit minimalstem Budget und haben uns ausserdem entschieden weniger zu arbeiten und mehr zu leben .
    Dh. wir sind auch keine klassischen ‚Konsumer‘.
    Warum gerade dieser Artikel ?
    Hier gab’s noch viel Platz ?! 😉
    Nun ich finde viele Aspekte von Minimalismus gut und nutze sie auch ….aussortieren mit 5 Kindern ist ein MUSS .
    Trotzdem gehört es für mich auch zur Nachhaltigkeit das die Kinder zb Kleidung auftragen. dh es gibt im Keller ein Regal mit Kleidung die aufgetragen wird. Einige wenige Stücke sind nun fast 16 Jahre alt (so alt wie der Älteste)-dh das Regal ist auch 16 Jahre alt und hortet Kleidung 😉
    Nun, Minimalismus ist in deinem Fall eine Ideologie. Idiologien sind dafür da, im besten Falle dem Leben einen Sinn zu geben und demjenigen, der danach lebt, glücklicher und erfüllter zu machen. Prima das sich der Minimalismus in reichen Ländern auf die Fahne schreiben kann , dass er die Welt rettet, weil man ja so mit den Resorcen sparsamer umgeht. Denn in einem Reichen europäischen Land ist Minimalismus freiwillig und man kann ihn wählen weil man den Konsum der gleich um die Ecke ist NICHT Wählt /AB WÄHLEN kann.
    Minimalistisch zu leben in einem reichen Land und sich dafür entscheiden zu können Dingen ‚abzuschwören‘ bedeutet, dass diese Dinge im Prinzip aber vorhanden sind .
    Das heißt, der Minimalismus kann desshalb in der Form existieren, weil andere so reich sind,dass sie konsumieren und dieses Land infolge dessen, ebenfalls reich ist.
    Du lebst nicht minimalistisch, weil du zu arm bist ein Bett zu kaufen oder 2 Winterjacken. Eine 3- Zimmerwohnung zu mieten oder ggf ein Auto zu besitzen.
    Du schützt die Umwelt durch Umverpackt-Laden weil es ihn gibt .
    In vielen Ländern dieser Erde leben Menachen minimalistisch . Sie haben nur eine Zeltplane oder eine Hütte aus gebrauchtem Schrott (wiederverwendet) Sie besitzen ebenfalls keinen Kühlschrank, weil es noch nicht einmal Strom gibt für sowas… selbst wenn, wäre das Geld dafür nicht da.
    Sie kaufen unverpacktes Obst und Gemüse auf dem Markt oder holen es von ihrem Acker, weil es keinen Laden gibt mit Plastiktüten. Sie haben nur 1 Paar Schuhe, Hose, und Pulli. Auf eine Jacke verzichten sie ganz, weil das Geld nicht reicht.
    Ihre Behausung hat keine Möbel, weil sie alle in einem Raum auf dem Boden schlafen und sitzen.
    Perfekte Minimalisten, auch prima für die Umwelt!

    Es ist sicher nicht nötig sinnlose Dinge zu horten. Aber Glück hängt meiner Meinung nicht davon ab, was man besitzt. Sondern Glück ist ein innerlicher Zustand. Alles drum (oder nicht drum ) herum ist eine Hilfestellung sein Innerstes zu finden, oder eben nicht.
    Wer wirklich glücklich ist schätzt mit großer Wahrscheinlichkeit Dinge. Wer mit sich selber im reinen ist , hat es leichter mit der Umwelt im reinen zu sein. Das eine bedingt das andere.
    Also estetischer Minimalismus, der deiner Meinung nach nur Konsum verstecken ist, ist genau so nur möglich wie ‚echter‘ Minimalismus, weil es Konsum gibt und die Gesellschaft in der du leben darfst reich ist .
    Du kannst vegan leben ohne Mangelerscheinungen, weil es alles zu kaufen gibt. Du kannst täglich frisch einkaufen und auf einen Kühlschrank und Vorratshaltung verzichten, weil das Geschäft einen Kühlschrank und volle Regale hat. Weil du dich entschieden hast dir durch diese Ideologie hefen zu lassen glücklicher zu sein.
    Das ist legitim, aber lass dich nicht nerven von Esteten, denn das macht sicher nicht glücklich.
    Dein Leben scheint sehr unruhig zu sein . Du scheinst eine unruhige Beziehung zu haben. Und du lebst in einem fremden Land. ( Ich mag Belgien sehr gerne )
    Es ist gut was du tust.
    Es ist gut nachhaltig etc. zu leben. Minimalismus scheint für dich auch ein Projekt zu sein, indem man sich stetig verbessern erweiten und reindenken kann.
    Ich liebe Projekte .
    Ich wünsche dir viel Erfolg auf deinem Weg und deiner Suche nach Glück und Erfüllung!
    Lieben Gruß Sandra

    Antworten
    1. Marion says:

      Liebe Sandra,

      vielen Dank für deine Worte.

      Ich stimme dir absolut zu, Glück hat nichts mit äußeren Dingen oder Besitz zu tun. Glück ist ein Zustand, ein SEIN, kein HABEN.

      Worum es mir in dem Artikel ging: Ich finde es schade, wenn Minimalismus auf (teure) Wohnungseinrichtungsgegenstände reduziert wird.

      Das war’s schon. 😉

      Gibt es Themen oder Inhalte, die dich besonders interessieren und zu denen du dir mehr Inhalte wünschst?

      Herzliche Grüße
      Marion

      Antworten

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